Das Farbleitsystem nach seiner Wiederherstellung. |
Für die innere Farbgebung des HSH gewann der Architekt Professor Fischer, vormals
Direktor der Essener Folkwang-Schule, den damals vierzigjährigen Maler Max
Burchartz, der 1927, während der Arbeiten am HSH, zum Professor für
Typografie und Fotografie an der Folkwang-Schule ernannt wurde. Am 28.2.1931
wurde er der Nachfolger Prof. Fischers im Vorsitz der nordwestdeutschen Arbeitsgemeinschaft
des Deutschen Werkbundes.
Der in Gelsenkirchen geborene Grafiker Anton Stankowski war
zu dieser Zeit Folkwangschüler und trug ebenfalls zur Fertigstellung des
Farbleitsystems im Hans-Sachs-Haus bei.
Das HSH und die Bauhaus-Idee
Das Hans-Sachs-Haus entstand unverkennbar unter dem Einfluss der Gestaltungsideale
des Bauhauses. Eine Idee dieser wichtigsten deutschen Werkstatt für Gestaltung
war die Wiederbelebung der mittelalterlichen Bauhütte, als ein Ort an dem Architekten
und Künstler als gleichberechtigte Partner zusammenarbeiten und sich gegenseitig
befruchten sollten. Dieser Gedanke prägte von Anfang an auch die Zusammenarbeit
zwischen Fischer und Buchartz und führte im HSH zu einer in sich schlüssigen,
harmonischen Gesamtkomposition.
Buchartz Farbgestaltung bezog auch Baustoffe und Ausstattungsmaterialien im
Innenbereich mit ein. Dies ging so weit, dass sogar die Tönungen der Hölzer,
der Fußböden und auch der Marmorverkleidungen in der Farbpalette berücksichtigt
wurden.
Die ursprüngliche Farbgestaltung des HSH zeigt klassische Gestaltungsmerkmale
des Konstruktivismus und die Denkanstöße des Bauhauses. Die rigorose Verwendung
von Primärfarben mit klaren Linien und rechten Winkeln, vereinigt in sich alle
Merkmale der neuen Sachlichkeit, wie es auch die Architektur des Hauses mit
ihrem rationalen Konzept vorgibt. Das HSH wird so zum idealen Beispiel der "Neuen
Architektur" der 20er Jahre. Das Zauberwort dieser Epoche war "Funktionalität".
Es verband neue ästhetische Vorstellungen und die Schönheit des Zweckmäßigen
miteinander.
Einer der berühmtesten Lehrer des Bauhauses war Paul Klee, der im November 1920
vom Bauhausgründer, Architekt Walter Gropius, nach Weimar berufen wurde. In
seiner Farblehre "über die moderne Kunst" spricht er über die drei formalen
Grundmittel der Farbgebung:
Mittel des Maßes - die Größe der Farbflächen
Farbgewicht - das meint den Helligkeitswerte oder Tonalität
der Farbe
Qualität der Farbe - das meint den Farbwert der einzelnen
Farbe.
Durch die Verteilung und Proportion von Flächen in Verbindung mit entsprechenden
Farbtonalitäten und Qualitäten kann eine Farbdynamik entstehen, die in der Lage ist,
Räume dynamisch zu füllen und zu strukturieren. Diese Spannungen lassen
sich nicht durch Messen oder Wägen ergründen, sie entstehen vielmehr durch das
subtile Zusammenwirken der drei "verschachtelten" Bereiche von Maß, Gewicht
und Qualität. Stehen deren formale Elemente "rein und logisch" zueinander, so
dass jedes an der ihm gegebenen Stelle notwendig ist und keines das andere stört
entsteht ein runder Farbraum-Eindruck, der als ein Ganzes auf den Betrachter
wirkt.
Die Meister des Bauhauses wollten alle diese theoretisch erarbeiteten Kenntnisse
einmal in ihrer Gesamtheit darstellen. Zu diesem Zweck baute Walter Gropius
ein Musterhaus, das als das "Haus am Horn" in die Kunstgeschichte einging. Hier
wurden auch die Erkenntnisse Paul Klees angewandt. Dieses "Einfamilienhaus"
wurde nach der Wende - nachdem es in der DDR- Zeit, wie viele Bauten, völlig
herunter gekommen war, mit großer Liebe restauriert, so dass es heute zu einem
regelrechten Wallfahrtsort geworden ist . Max Burchartz kannte die Arbeiten
Paul Klees. Es besteht kaum Zweifel, dass er auch das "Haus am Horn" kannte,
denn all das ließ er seine Ausmalung des HSH einfließen, das so zu einem "Elementarerlebnis
neuer Formgestaltung" wurde.
Das Treppenhaus des HSH 1927. |
Das Farbleitsystem
Farbgestaltung war für Prof. Burchartz niemals Dekoration, sondern immer unter
funktionalen Gesichtspunkten zu betrachten. Das drückt sich in Vollendung in
seinem in den Treppenhäusern und Eingangszonen des HSH realisierten farbigen
Wegeleitsystem aus, das Fachleute für eines der weltweit ersten Beispiele eines
signaletischen Orientierungssystems halten. Das Konzept, Menschen allein mit
Farben zu einem Ziel zu leiten, war revolutionär, kam diese Methode doch ohne
jedes erlernte Wissen auf Seiten des Betrachters aus. Jeder Mensch, der in der
Lage ist, Farbe zu sehen, wird sich im Gebäude zurechtfinden, unabhängig
von Bildungsgrad oder kultureller Herkunft. Das Farbleitsystem ist universelle
Kommunikation.
Burchatz`s System führte in den Farben Rot, Grün, Gelb und Blau durch das Gebäude,
wobei jede Farbe für ein Stockwerk des Gebäudes stand. Dazu kamen Weiß, Schwarz
und Grau als ergänzende Farben, sowie rot-weiß gestreifte Felder als Markierung
an den Aufzügen. Neben dem auf jeder Etage wandfüllend angebrachten Farb-Code
setzte sich das System in freier Gestaltung über Wände, Decken und gar im Bodenbelag
der Flure fort.
Es waren die Verwendung reiner Farben und Formen über ganze Wände hinweg und
die daraus resultierenden starken Farbeindrücke, die dieses System neben seiner
funktionalen Aufgabe als Orientierungshilfe auch zu einem ästhetisch beeindruckenden
Umfeld werden ließen. Das wird umso bedeutungsvoller, bedenkt man, dass sich
in Sichtweite des HSH im Musiktheater im Revier ein weiteres Beispiel solch
starker Farbwirkung findet: die berühmten blauen Schwammreliefs des Künstlers
Yves Klein. Was für Klein jedoch Selbstzweck war, die reine Farbe, ist für Buchartz
Mittel und Werkzeug. Dort der Künstler, hier der Designer.
Blick von einem Treppenabsatz. Rechts unten der Paternoster der Firma
Schindler (demontiert ca 1984) |
Die Wiederentdeckung
Bewegte Jahrzehnte in der pulsierenden Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen ließen
Buchartz's bedeutende kulturhistorische Leistung in Vergessenheit geraten. Das
Farbleitsytem wurde vielfach übermalt und war völlig aus dem kulturellen Gedächtnis
der Stadt verschwunden. Erst in den 90er Jahren wurde es per Zufall wieder entdeckt
und auf Anordnung von Oberstadtdirektor Herrn Dr. Klaus Bußfeld unter Mitwirkung
von Professor Karl Ganser aufgearbeitet und wiederhergestellt. Wie an einer
archäologischen Fundstätte forschte man unter den Putz-Schichten des zentralen
Treppenhauses nach jener ursprünglichen Schicht und rekonstruierte die Farbgestaltung
des Leitsystems Schritt für Schritt.
Die Tochter Professor Burchartz`s, Frau Lotte Stöve aus Essen überzeugte sich
von der gelungenen Farbwiedergabe im Treppenhaus, reproduziert von Restauratoren
und ansässigen Malerfirmen. Die Firma Sickens sponserte Farben, kostenlos ausführende
Malerfirmen waren die Firmen Cirkel, Kura und Terlöken. Der notwendige Fußboden
wurde von der Firma Schmedesagen gesponsert. Den Anstoß für dieses kostenlose
Gemeinschaftsprojekt gab das Hochbauamt Gelsenkirchen.
Das Ergebnis dieser Bemühungen war außerordentlich. Bei der Besichtigung am
10.10.1996 waren Vertreter des Kultusministeriums, der Bezirksregierungen Arnsberg,
Detmold und Münster, sowie des Westfälischen Amtes für Denkmalpflege anwesend.
Für ihr Engagement erhielten die drei Malerfirmen den City- Preis, der hier
zum zweiten Mal verliehen wurde. Plötzlich war das HSH ein "Wallfahrtsort" für
Denkmalschützer, Kunsthistoriker und nicht zuletzt für Kommunikationsdesigner,
in deren Arbeit die Gestaltung von Farbleitsystemen bis heute zu den Königsdisziplinen
gehört.
Was ist geblieben?
Beim Risiko-Screening zur Feststellung der Baumängel im HSH wurden die Putzschichten
vieler Wände des Hauses abgeschlagen. Eine vollständige Rekonstruktion des Farbleitsystems
im ganzen Gebäude ist damit wohl für immer unmöglich geworden. Allein im bereits
dokumentierten Bereich des Treppenhauses wäre eine erneute Ausmalung möglich.
Doch selbst diese Hoffnung würde sich im Fall eines Abrisses zerschlagen. Eine
Ausführung in einem etwaigen Neubau könnte niemals den Stellenwert des Originals
am Original-Ort erreichen.
Leider scheinen heute nur wenige Gelsenkirchener den Wert dieses "Graphischen
Schatzes" zu erkennen. Es mag daran liegen, dass ein Farbleitsystem so normal
und alltäglich ist, dass man ihm gewöhnlich keine weitere Aufmerksamkeit schenkt.
Der Grund dafür ist schlicht der, dass ein gutgemachtes Farbleitsystem, sich
nicht als eine künstlerische Gestaltung in den Vordergrund drängt, sondern funktional
und mit größtmöglicher Einfachheit seinen Zweck erfüllt. Genau darin liegt die
nicht zu unterschätzende Leistung seines Entwicklers.
Das Farbleitsystem von Prof. Max Buchartz ist der Prototyp der modernen Signaletik und dadurch weltweit einmalig. Heute nutzen fast alle öffentlichen Gebäude,
seien es Flughäfen, Krankenhäuser, ämter oder andere große Gebäude diese Form
der Gebäudekommunikation und alle basieren sie, mehr oder weniger, auf dieser
Gelsenkirchener Urform. Eine originalgetreu restaurierte Signaletik des Hans-Sachs-Hauses
wäre ein Pflichtziel für jeden Graphik-Studenten genauso wie für jeden Bauhaus-Interessierten.
Und wie könnte nicht Gelsenkirchen als Teil der Kulturhauptstadt Ruhrgebiet
im Jahre 2010 mit einem solchen Pfund wuchern? Das weltweit erste Farbleitsystem,
das gibt es nur in Gelsenkirchen.
Es stellt sich die Frage, wie lange noch?
Abendlicht am HSH
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